Bernd Giezek: Ein Leben zwischen Mathe und Musik
Er ist Banker, Professor und erfolgreicher Dance-Musiker. Dank ihm kennen viele Briten sogar das Elefantenklo. Bernd Giezek führt ein Leben, für das eine Schublade zu klein ist.
Lange Haare, schwarzes Band-T-Shirt, Kippe und Gitarrenkoffer: Diesen Look sieht man an diesem Vormittag vor der Rock Pop Jazz Akademie, kurz RPJAM, in der Grünberger Straße häufiger. Bernd Giezek fällt hingegen aus dem Rahmen. Er trägt eine ordentliche Jeans und ein grün-gestreiftes Hemd. Zugeknöpft, versteht sich. Sein Haarschnitt ist akkurat, das Gesicht frisch rasiert. Kurzum: Würde sich der 53-Jährige als Professor der Betriebswirtschaft vorstellen, niemand würde sich wundern. Erzählte er aber, dass er als Musiker »Roberto Bates« derzeit die englischen Dancecharts aufmischt, würde er wohl ungläubige Blicke ernten. Giezek weiß das. »Ich sehe nicht aus wie ein superstylischer Endzwanziger. Ich bin auch keine Ende 20 mehr.« Der Gießener sagt das ohne jegliches Bedauern. Kein Wunder: Er ist glücklich verheiratet und Vater eines Sohnes. Er ist beruflich erfolgreich und hat es geschafft, seine Leidenschaft in den Job zu integrieren. Ein Umstand, der ihm noch größeren Erfolg beschert.
Gillespie, Snap und Xavier Naidoo
Verlaufen zwei Geraden parallel, werden sie niemals aufeinandertreffen. Verlässt eine aber ihre Spur, werden sie sich irgendwann kreuzen. Schon als Kind kannte Giezek dieses geometrische Gesetz. Damals, als Knirps aus dem Westerwald, konnte er jedoch nicht ahnen, dass diese Regel mal eine Analogie auf sein Leben sein würde. Das Rechnen bereitete ihm schon als Schüler kein allzu großes Kopfzerbrechen. Nach dem Abitur absolvierte er eine Banklehre, das Studium der Betriebswirtschaft trat er dann in Gießen an. »Ich habe schnell gemerkt, dass viele meiner Kommilitonen mit Mathe und Statistik nicht gut klarkamen. Also haben wir uns in meiner Wohnung getroffen und die Wohnzimmertür als Tafel benutzt.« Mit diesen Repetitorien verdiente er genügend Geld, um neben dem Studium nicht kellnern zu müssen.
Während Giezek von seiner Professur an der Hochschule FOM in Frankfurt und seiner Nachhilfe-Firma »SpeedRepeat« erzählt, dringt aus dem Nebenraum leise Musik. Die Schüler proben. Fast unmerklich nickt der 53-Jährige mit. Neben Mathe war es schon immer die Musik, die Giezek faszinierte. »Meine Schwester, sie ist fünf Jahre älter, hatte früher Klavierunterricht. Ich fand das toll und habe schon als kleiner Junge auf die Tasten gehämmert.« Als er dann groß genug war, erhielt auch er Unterricht. Seine Lehrerin hatte sich jedoch der Klassik verschrieben. Giezek muss schmunzeln: »Sie war eine Frau, der saubere Hemden genauso wichtig waren wie gewaschene Hände. Mit 13 Jahren habe ich dann aufgehört.« Ein Junge am Anfang der Pubertät kann mit Beethoven eben nicht sonderlich viel anfangen. »Ich habe lieber Neue Deutsche Welle gehört. Und ich war Abba-Fan. Auch wenn man das damals nicht laut sagen durfte.« Aber der Unterricht hatte trotzdem etwas Gutes: Es erleichterte Giezek den Einstieg in das Keyboard-Spiel. Und das gehörte zu den 80ern wie lockige Mähnen und die mehrhälsige E-Gitarre. Als 19-Jähriger gründete er mit Freunden die Band Bates Motel. »Uns gibt es heute noch. Wir spielen melodische Rockmusik. Man hört, dass wir Kinder der 80er sind.«
Schon immer von Musik begeistert
Anfang der 90er kommt es dann zu jenem Punkt, an den seine parallel verlaufenden Lebenslinien plötzlich aufeinander treffen. »Damals wollte ich nicht mehr Banker sein. Und da mich Musik schon immer begeistert hat, habe ich es dort versucht.« Eine Bates-Motel-CD half ihm dabei. »Ich fand sie echt klasse. Aus heutiger Sicht muss ich aber sagen. Die Lieder waren zwar gut, aber schlecht produziert.« So paradox es klingt: Genau dieser Umstand öffnete ihm eine Tür. Nach dem Motto: Wenn die Songs selbst schlecht produziert gut klingen, wie wäre es dann erst bei einer professionellen Produktion? Das dachte sich auch Mark Gillespie, mit den Giezek dann zusammenarbeite. Später wechselte er zu einer Frankfurter Plattenfirma, die zum Beispiel Snap und Xavier Naidoo betreute. »Ich war aber immer nur in der zweiten Reihe und habe Abrechnungen, Lizenz- und Gema-Dinge gemacht«, sagt Giezek und fügt lachend an: »Also jene Sachen, die alle anderen aus der Branche hassen.« Vor acht Jahren wurde dann auch die RPJAM auf ihn aufmerksam, seither unterrichtet er die angehenden Musiker in den kaufmännischen Feinheiten ihres Metiers.
Giezeks künstlerische Ader hat jedoch nie aufgehört zu pochen. Und der Rhythmus von Bates Motel deckte seinen Tatendrang nicht vollends ab. Immer wieder hatte er Lieder geschrieben, die seinen Kollegen zu poppig waren. Also brachte er sie als Solokünstler heraus. »Ich hatte zudem 20 Jahre lang eine Melodie im Kopf, die ich unbedingt umsetzen wollte«, sagt Giezek. Vergangenes Jahr im März war es dann soweit. »Minnesota Lakes« eine instrumentale Dance-Nummer, bescherte ihm viel Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch die Nominierung beim Deutschen Rock- und Pop-Preis. Als ihn dann Kollegen aus der Branche rieten, mal etwas mit Gesang aufzunehmen, dachte Giezek sofort an seine Studentin Viola Tamm. Anfang dieses Jahres brachten die beiden die Single »Alone« heraus (auf der Single findet sich auch eine deutsche Variante mit der Stimme von Da Chello).
In den Top 20 in England
»Alone« hat es in die Top 20 der britischen Dance-Charts geschafft. Für Giezek immer noch ein surreales Erlebnis. »Ich kann es mir nicht erklären. Wir standen drei Plätze vor Kylie Minogue. Mittlerweile hat sie mich zwar überholt, aber immerhin eine Woche durfte ich jubeln.« Vergangene Woche erschien dann der Nachfolger »Bridge«. Beide Videos zeigen Giezek in seiner Wahlheimat Gießen. »Viele Kollegen konnten nicht verstehen, warum wir nicht etwa in Berlin gedreht haben. Aber dann wäre ich nur einer unter vielen gewesen. Ich bin nunmal Gießener.« Und so sehen die Betrachter des Videos nicht das Brandenburger Tor oder die Spree, sondern das E-Klo und die Lahn. Als großer 46ers-Fan dient auch die Osthalle als Kulisse. Und, wie sollte es anders sein, das Mathematikum.
Man sagt, die linke Gehirnhälfte ist für rationale, analytische und logische Prozesse verantwortlich, die rechte hingegen für alles Musische und Kreative. Bei Giezek scheinen beide Seiten gut miteinander verknüpft zu sein. »Das liegt daran, dass ich Sternzeichen Zwilling bin«, scherzt der 53-Jährige. Tatsächlich aber liege Musik und Mathematik nur scheinbar weit auseinander. »Ich war nie ein sonderlich guter Keyboarder. Dafür fällt mir die Harmonielehre sehr leicht. Wie man Akkorde zusammensetzt, damit sie gut klingen. Das empfinde ich wie zählen.«
Banker, Professor, Musiker und Chartstürmer: Giezeks Werk ist zu facettenreich für eine Schublade. Das zeigt übrigens auch sein Bühnenoutfit bei Auftritten seiner Band Bates Motel: Statt akkuraten Business-Hemd trägt er einen viel zu kleinen Kelly-Family-Pullover. Seine Schüler würden staunen.