Bedürfnisse der Kinder im Blick

Nach einer Trennung gelingt es Paaren häufig nicht, die Bedürfnisse der Kinder angemessen wahrzunehmen. Als Vermittlerinnen zwischen Eltern und Kindern fungieren seit zehn Jahren die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle »Lösungswege« des Kinderschutzbundes. Dort bekommen Familien ohne lange Wartezeiten »erste Hilfe« bei Konflikten.
Wenn eine Beziehung zerbricht und den Partnern keine einvernehmliche Trennung gelingt, bleibt der Blick auf die Bedürfnisse der Kinder oft auf der Strecke. Die Eltern sind in der Krise nicht in der Lage, das Leid der Kinder wahrzunehmen. »Die Gefahr, dass die Kinder im Trennungsprozess psychische Schäden erleiden, ist groß«, sagt Gerhard Merz, der Vorsitzende des Kinderschutzbundes. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurde vor zehn Jahren die Beratungsstelle »Lösungswege« initiiert. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt von Stadt und Kreis Gießen sowie des Kinderschutzbundes und wird vom Hessischen Sozialministerium sowie einigen gemeinnützingen Stiftungen unterstützt. »Lösungwege« sei ein ungewöhnliches, aber gut funktionierendes Konstrukt, das sich in der Praxis hervorragend bewährt habe, ergänzt Gerda Weigel-Greilich, die Jugenddezernentin der Stadt. »Die Vielfalt an Familienmodellen erfordert auch eine Vielfalt im Beratungsangebot.«
Bei »begleitetem Umgang« Lücke
Die sechs Mitarbeiterinnen beraten zu Fragen des partnerschaftlichen Zusammenlebens in der Familie, zu Trennung und Scheidung, zur Ausübung der elterlichen Sorge und zum Umgangsrecht. Für die Stadt Gießen ist »Lösungswege« zudem für das Jugendamt an Verfahren vor dem Familiengericht zur Übertragung der elterlichen Sorge, strittigen Anträgen zum Sorgerecht und Umgang beteiligt. Sorge bereitet den Mitarbeiterinnen die gestiegene Nachfrage nach Beratung beim sogenannten »begleiteten Umgang«, schildert Teamleiterin Ursula Maier-Elischer. Sie und ihre Kolleginnen hätten immer häufiger Kontakt mit Paaren, deren Kinder noch sehr klein seien. Jedes Kind hat einen Rechtsanspruch auf Umgang mit beiden Elternteilen oder einer Bezugsperson. Umgekehrt ist jeder Elternteil zum Umgang mit seinen Kindern berechtigt und verpflichtet.
Wenn die Regelung des Umgangs nicht reibungslos klappt, werden die Fachfrauen der Beratungsstelle hinzugezogen. Gründe für den »begleiteten Umgang« können häusliche Gewalt oder Entführungsverdacht sein, aber auch eine psychische Krankheit oder Suchtverhalten der Mutter oder des Vaters.
Schaue man auf die vergangenen zehn Jahre, so falle auf, dass die Zahl der Familien steige, in denen psychische Krankheiten eine Rolle spielten, sagt Gabriele Keiner, die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes. Für die Arbeit in der Beratungsstelle bedeute dies eine große Herausforderung hinsichtlich der Kompetenz und Erfahrung.
Eine weitere Schwierigkeit bestehe darin, dass »Lösungswege« es mittlerweile in 50 Prozent aller Fälle mit Familien zu tun habe, die einen Migrationshintergrund haben und deren Deutschkenntnisse gering seien. Immer häufiger komme es vor, dass eine Beratung nur mithilfe von Dolmetschern möglich sei. Dank einer Spende der Stiftung »Anstoß« sowie Ehrenamtlichen des Integrationsbüros sei es bisher gelungen, Übersetzer einzubinden, doch stelle diese Leistung ein zunehmendes Finanzierungsproblem dar. Doch nicht nur die Finanzierung, auch die Gespräche selbst werden durch die Notwendigkeit eines Dolmetschers schwieriger. Denn Voraussetzung für eine erfolgreiche Beratung ist eine vertrauensvolle Basis, die durch eine kindgerechte Kommunikation entsteht. Die Beraterinnen stellen sich behutsam und spielerisch auf ihre kleinen Klienten ein, sie arbeiten mit Spielen, Büchern, Plüschtieren sowie Mal- und Bastelutensilien. Dank neuer Finanzierungsverträge mit Stadt und Landkreis habe man die Zahl der Beraterinnen erhöhen und neue Räumlichkeiten in der Marburger Straße beziehen können. »Wir haben hier optimale Bedingungen für unsere Arbeit«, freut sich Keiner.
Wenn Familien sich an die Beratungsstelle »Lösungswege« wenden, bekommen sie innerhalb kurzer Zeit einen Termin. Dies sei, verdeutlichen Merz und Maier-Elischer, ein großes Plus für die Familien. In einer akuten Krise gehe es darum, schnell handeln zu können. Bis 2012 habe es eine solche kurzfristige »erste Hilfe« nicht gegeben, das Jugendamt hatte dafür nicht die Kapazitäten. »Wir brauchten dringend eine Qualitätsverbesserung«, sagen Weigel-Greilich und Jugendamtsleiter Holger Philipp.
Für den Kinderschutzbund ist das Wohl das Kindes die oberste Prämisse. »Die Kinder müssen verstehen, dass sie Rechte haben«, sagt Maier-Elischer. In ihrem eigenen Schmerz seien Eltern oft nicht in der Lage zu erkennen, wie groß der Loyalitätskonflikt der Kinder tatsächlich sei. Die Beraterinnen unterstützen Eltern und Kinder dabei, in einer neuen Lebenssituation Orientierung, Halt und Sicherheit zu finden.