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Barrierefreiheit noch ausbaufähig

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Immerhin zwei von drei behindertengerechte Vorgaben erfüllt dieser Bus bei seinem Halten am Marktplatz. Der Fahrer ist dicht an den Bordstein herangefahren und hat den Bus abgesenkt. Allerdings würde ein Sehbehinderter auf seiner Blindenleitlinie vergebens den Einstieg in den Bus suchen. © Rüdiger Schäfer

Gießen (ige). Die meisten Bushaltestellen in der Stadt sind nicht barrierefrei. Der Beirat für Belange von Menschen mit Behinderungen - landläufig Behindertenbeirat genannt - hatte zu seiner jüngsten Sitzung Hendryk Gaidies vom Tiefbauamt eingeladen, um mehr über die aktuelle Situation vor Ort zu erfahren.

Für den Einstieg in Busse an Haltestellen bedeute Barrierefreiheit, so Gaidies, einen maximal fünf Zentimeter breiten Spalt zwischen Bordstein und Bustür sowohl in der Breite als auch in der Höhe. Bis vor fünf Jahren habe 18 Zentimeter Bordsteinhöhe als barrierefrei gegolten, seitdem 22 Zentimeter. In dem verwendeten, sogenannten Kasseler Bordstein gibt es zwei Hohlkehlen, damit die Busse ohne Reifenbeschädigung dicht an die Einstiegskante heranfahren können.

Was bedeutet Barrierefreiheit an Bushaltestellen außerdem? Gaidies nannte als weitere Aspekte barrierefreie Zuwegungen, Blindenleiteinrichtungen, akustische Informationen, kontrastreiche Gestaltung von Fläche und Wartehalle, Lesbarkeit der Aushänge sowie Sitzgelegenheiten.

Beiratsvorsitz zeigt sich enttäuscht

Bei der Bestandsaufnahme aller Haltestellen - 332 Haltepunkte im Stadtbusbereich - sei eine erste Einstufung anhand der Bordhöhe vorgenommen worden. Dabei seien alle Haltestellen mit einer Bordhöhe von mindestens 18 Zentimetern und alle weiteren Aspekte der Barrierefreiheit unberücksichtigt geblieben. Bis dato seien 47 Prozent der Haltestellen so umgebaut, dass sie eine Mindesthöhe von 18 Zentimeter hätten. »176 Haltepunkte erfüllen nicht die Anforderungen an die Einstiegshöhe.«

Bei der Anfahrbarkeit bei einer Bordhöhe von 22 Zentimetern sieht Gaidies Schwierigkeiten für die Fahrer, denn die Busse müssen für spaltfreien Eintritt parallel zum Bord stehen. »Die Anfahrt muss möglichst im spitzen Winkel erfolgen, damit die Fahrzeuge nicht aufsetzen. Und manche Busbuchten müssen aufgegeben oder sehr lang werden.« Auch erschwere die Höhe eine Anpassung an die nähere Umgebung.

Mehrere Umbauten geplant

Umgebaut würden dieses Jahr noch in der Robert-Sommer-Straße die Haltestellen Max-Reger-Straße (beide Richtungen), Tulpenweg Richtung Egerländer Straße, Nordanlage (Richtung Oswaldsgarten), Wetzlarer Straße (Richtung Dutenhofen), Klingelbachweg (stadteinwärts). Im nächsten Jahr seien sieben weitere Haltestellen dran.

Beiratsvorsitzender Sven Germann zeigte sich tief enttäuscht: »Es hat sich nichts bewegt, was ich vor vielen Jahren bereits angesprochen habe. Dass in der Stadt ein großer Rückstau besteht, ist wohl bekannt.« Sozialdezernent Francesco Arman erwiderte: »Barrierefreiheit muss ein Prozess sein.«

Bürgermeister Alexander Wright sagte: »Zwei Jahre benötigen wir für die Planung eines Umbaus mit Fördermöglichkeit.« Auf die Frage nach DFI (Dynamische Fahrgastinformationen) antwortete Gaidies, dass Umsteigehaltestellen mit DFI ausgestattet werden sollen, eventuell die Robert-Sommer-Straße. »Wir haben keine richtige Ausbaustrategie«, bekannte er. Der Aufwand wie zuletzt in der Rathenaustraße und am Oswaldsgarten sei recht hoch. »Das kostet jeweils 50 000 Euro. Jeder kommt da auch mit der eigenen App weiter.« Gaidies erwiderte auf die Frage, welche Haltestellen zwar eine Bordsteinhöhe von 18 Zentimeter aufweisen, doch ansonsten keine Barrierefreiheit haben: »Da habe ich nicht geguckt.« Germann war damit überhaupt nicht einverstanden: »Ich sage seit vielen Jahren, dass man mit kleinem Aufwand auch Einstiegsmarkierung und Lesbarkeit an den Haltestellen verbessern kann.« Die Linke-Stadtverordnete Cornelia Mim kritisierte: »Die Lesbarkeit der Aushänge sind bei dunklen Lichtverhältnissen ohne Taschenlampe nicht möglich.«

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