Wegen Rolle bei umstrittener Eritrea-Demo: Ausländerbeirat in der Kritik

Der Vorstand des Ausländerbeirats in Gießen steht wegen seiner Beteiligung an der Demonstration von Vereinen, die dem Regime in Eritrea nahestehen, in der Kritik.
Gießen - Man konnte dem Vorsitzenden des Ausländerbeirats der Stadt, Zeynal Sahin, das Unbehagen förmlich ansehen, als er auf dem Berliner Platz im Hintergrund auf der kleinen Bühne stand, während davor Menschen das Porträt von Isayas Afewerki auf Plakaten oder in einem Bilderrahmen hochhielten. Afewerki ist der Langzeitpräsident Eritreas, den Menschenrechtsorganisationen als Diktator bezeichnen.
Für den Ausländerbeirat hatte eines seiner Mitglieder, die usbekischstämmige Irene Hoffmann, eine kurze Rede gehalten und diese unter dem Jubel der Demonstranten mit geballter Faust und dem Ruf aus dem 30-jährigen eritreischen Unabhängigkeitskrieg »Awet N’hafash« beendet - ohne wohl die Bedeutung zu kennen. Es heißt: Sieg für die Massen. Wegen seiner Rolle rund um die Demonstration ist besonders der Vorstand des Ausländerbeirats nun mit Kritik konfrontiert. Der Vorwurf lautet, er habe sich instrumentalisieren lassen von Unterstützern des eritreischen Regimes.
Gießen: Gewalttaten Anlass für Demo
Am Donnerstag hatten 700 Menschen in Gießen wegen der Gewalttaten im Vorfeld eines Festes des eritreischen Konsulats in den Hessenhallen am 20. August demonstriert. An jenem Tag hatten mutmaßliche Gegner des Regimes Gäste und Helfer vor Veranstaltungsbeginn angegriffen und verletzt. Die Polizei stoppte die Gewalt und sagte die Veranstaltung ab. Wegen dieser Ereignisse hatten mehrere Hundert Einsatzkräfte die Demo am Donnerstag vor möglichen Übergriffen geschützt.
Wenige Tage nach den Gewalttaten am 20. August hatte der Vorstand des Ausländerbeirats Kritik am Grünen-Stadtverordneten Klaus-Dieter Gro-the geäußert. In einer von Sahin unterzeichneten Pressemitteilung hieß es, ein friedliches Miteinander sei in Gießen »gelebte Normalität«. Dies sei am Tag der Kulturen des Stadtfestes zu erleben gewesen, das am Tag des geplanten Eritrea-Festes in den Hessenhallen stattgefunden hatte. »Wir werden es nicht zulassen, dass diese Vision zerstört wird, auch nicht von einem Gießener Stadtverordneten.« Der Vorstand forderte Grothe zum Rücktritt auf.
Dabei bezieht er sich auf dessen gelöschten Facebook-Beitrag, in dem dieser die Absage des Festes als »Sieg für Gerechtigkeit und Demokratie« bezeichnet hatte. Dafür hatte Grothe sich entschuldigt. Zudem hatte er später kritisiert, dass am vom Ausländerbeirat organisierten Tag der Kulturen »zwei eritreische regimenahe Gruppen« aufgetreten seien.
Ausländerbeirat in Gießen: »Wir sind der Neutralität verpflichtet«
Ein Ausländerbeirat ist die Interessenvertretung der ausländischen Bevölkerung einer Kommune oder eines Landkreises. Das Gremium engagiert sich für die Integration und die Gleichstellung von ausländischen und deutschen Einwohnern. »Wir treten für Menschenrechte und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein«, sagt Sahin. Und: »Wir sind der Neutralität verpflichtet.« Dass bei der Demonstration »Exil-Politik« eine Rolle gespielt habe, habe er erst während der Kundgebung auf dem Berliner Platz bemerkt. »Das hat mir Bauchschmerzen bereitet.«
Sahin betont, dass es bei der Anmeldung der Demo darum gegangen sei, dass Menschen ihre demokratischen Rechte wahrnehmen könnten und dass die Gewalt vom 20. August verurteilt werden müsse. »Diese Forderungen sind richtig«, sagt Sahin. Aber als er gesehen habe, dass einige Bilder des eritreischen Machthabers hochgehalten wurden, seien Zweifel in ihm aufgekommen. Vielleicht zogen sich Sahin und Hoffmann deshalb nach der Rede von Hoffmann zügig von der Kundgebung zurück.
Gießen: Zwei eritreische Vorstandsmitglieder des Beirats liefen bei Demo mit
Den Demonstrationszug hatten Sahin und Hoffmann nicht begleitet. Dafür aber zwei eritreische Vorstandsmitglieder des Beirats: Die Frauensprecherin Lemlem Kaleab lief beim Protestzug vorne mit. Ebenfalls mit dabei war die Vizevorsitzende Eden Tesfaghioghis. Sahin und Hoffmann bekamen nicht mit, wie vor allem gegen Grothe gerichtete Parolen gerufen wurden oder wie ihm vorgeworfen wurde, verantwortlich für die Gewalttaten gewesen zu sein. Die Polizei hatte nach den Vorfällen am 20. August erklärt, dass sich die Gewalttäter unabhängig von der Demonstration versammelt hatten, an der Grothe als Teilnehmer - nicht als Organisator - mitgelaufen war. Sie bekamen nicht mit, wie vereinzelt Journalisten von durch den Anmelder gestellten Ordnern bei dem Versuch abgedrängt wurden, Demo-Teilnehmer zu interviewen. Und sie bekamen nicht mit, wie Protestler gezielt Journalisten fotografierten.
Warum hat Hoffmann die Rede für den Ausländerbeirat gehalten - und niemand aus dem Vorstand? Sahin erklärt dies mit der Aufgabenteilung im Gremium. Es sei keine Ein-Mann-Schau, jeder könne sich als Redner bei einer Veranstaltung engagieren. »Wir sprechen aber vorher ab, um was es bei der Rede gehen soll.« So hatte sich beispielsweise die gebürtige Eritreerin Tesfaghioghis, die am Donnerstag an der Demo der regimenahen Vereine teilgenommen hatte, bei der Kundgebung der iranischen Gemeinde mit den Menschen solidarisiert, die in Iran gegen die Unterdrückung durch das dortige Regime auf die Straße gehen.
Eritrea-Demo in Gießen: Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Beirats
Wie Sahin zur Beteiligung seiner Vorstandskolleginnen Tesfaghioghis und Kaleab an der Demo steht? Für die Arbeit im Beirat spiele es keine Rolle, welche politischen Vorstellungen ein Mitglied habe. »Neutralität ist uns wichtig«, sagt Sahin und verweist darauf, dass auch Türken und Kurden im Gremium zusammenarbeiten - trotz mancher Konflikte zwischen den Gruppen. »Wir kümmern uns um praktische Themen vor Ort.« Das gelte auch für die Beteiligung von Kulturvereinen an Veranstaltungen des Beirats. »Am Tag der Kulturen haben russische und ukrainische Gruppen getanzt, obwohl die Länder im Krieg sind«, sagt Sahin. »Wir schauen nicht, ob Vereine mit dem Regime in ihrer Heimat verbunden sind. Solange sie hier nicht gegen die demokratische Grundordnung verstoßen und zugelassen sind, können sie teilnehmen.«
Innerhalb des Ausländerbeirats gibt es Kritik an der vom Vorstand veröffentlichten Presseerklärung sowie an der Teilnahme an der Demonstration am Donnerstag. Ein Mitglied, dessen Name der Redaktion bekannt ist, das aber anonym bleiben will, sagt im Gespräch mit dieser Zeitung, der Vorstand habe die Pressemitteilung nicht mit den anderen Mitgliedern des Gremiums abgesprochen - genauso wenig wie den Redebeitrag von Hoffmann. »Wer hat sie ausgewählt«, fragt das Beiratsmitglied und betont: »Wer bei einer solchen Demonstration eine Rede hält, ist auch offiziell beteiligt.« Jedoch müsse der Ausländerbeirat bei einem solchen sensiblen Thema neutral bleiben - und nicht durch Stellungnahmen zugunsten einer Seite oder die Teilnahme an einer Kundgebung Konflikte zwischen den Gruppen weiter verstärken.
Gießen: Fragen zur Presseerklärung
Sahin bestätigt, dass es von Beiratsmitgliedern Fragen gegeben habe, warum der Vorstand die Presseerklärung ohne Beteiligung des Gremiums veröffentlicht habe. Diese Kritik teile er aber nicht. Auch wehrt er sich gegen den Vorwurf, dass sich das Gremium mit der Teilnahme an der Kundgebung am Donnerstag habe instrumentalisieren lassen. »Ich bin vor drei Jahren bei der Demonstration gegen das Eritrea-Festival mitgelaufen, an der auch Klaus-Dieter Grothe teilgenommen hatte«, sagt er. »Ich wollte mir damals selbst einen Eindruck verschaffen.« Eine Teilnahme an einer Veranstaltung bedeute nicht, dass man sie auch unterstütze.
Ob es nach der Kritik Konsequenzen gibt? Dazu kann Sahin noch nichts sagen. Er kündigt aber an, dass der Vorstand über die Demonstration und die Rede beraten werde. (Kays Al-Khanak)