Auch unser Krieg?

Gießen (pm). Der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine erschüttert die Welt und stellt die bisherige internationale Zusammenarbeit in vielen politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und akademischen Belangen grundlegend infrage. Er zielt darauf ab, den souveränen ukrainischen Staat zu zerstören - durch Bombardierungen, Vertreibung und weitere Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung.
Damit erschüttert dieser Krieg sowohl die europäische Sicherheitsarchitektur als auch die europäische Werteordnung in ihren Grundfesten. Die Ringvorlesung des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) widmet sich in diesem Wintersemester unter dem Titel »Unser Krieg?
Die Zukunft der Ukraine und die Neuordnung der Welt« den zentralen Fragen dieser fundamentalen Krise. Im Rahmen der Ringvorlesung soll diskutiert werden, inwiefern dieser Krieg auch »unser Krieg« ist, was daraus für unseren außen, innen und wirtschaftspolitischen Kurs folgt und welche Konsequenzen dies für unsere Gesellschaft hat.
Zum Auftakt wird Prof. Olga Garaschuk, Inhaberin des Lehrstuhls für Neurophysiologie an der Universität Tübingen und Präsidentin der Deutsch-Ukrainischen Akademischen Gesellschaft, am Montag, 14. November (Beginn 19 Uhr) in ihrem Vortrag unter der Leitfrage »Ukraine: ein blinder Fleck auf der mentalen Karte Europas?« eine Einordnung vornehmen.
»Selbstverständlich ist dieser Krieg in Europa ›unser‹ Krieg«, betont JLU-Präsident Prof. . Joybrato Mukherjee: »Mit dem bewaffneten Überfall auf die Ukraine verletzt Russland - als eines der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat und als Garantiemacht für die territoriale Unversehrtheit der Ukraine seit 1994 - das in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegte zwischenstaatliche Gewaltverbot. Wir müssen den russischen Angriffskrieg als Infragestellung aller völkerrechtlichen Grundregeln werten.«
Vor diesem Hintergrund ist viel von einer »europäischen Zeitenwende« die Rede. »Im Rahmen der aktuellen Ringvorlesung werden wir dazu drängende Fragen stellen, die uns alle beschäftigen, um gemeinsam mit renommierten Referenten Antworten aus verschiedenen Blickwinkeln - aus Politik, Wissenschaft und Kultur - zu suchen«, ergänzt der Präsident, der alle interessierten Gäste zur Ringvorlesung einlädt. Wichtig sei es, im öffentlichen Diskurs auch ukrainische Stimmen zu Wort kommen zu lassen, um gemeinsam über die europäische Zukunftsperspektive der Ukraine zu diskutieren.
Im Jahr 1935 sagte der Historiker, Militäroffizier und UkraineExperte Lancelot Lawton im britischen Parlament: »Das wichtigste Problem Europas heute ist die Frage der Ukraine. Wichtig [...] wegen der Auswirkung auf den europäischen Frieden und die Diplomatie, gleichzeitig jedoch lebenswichtig für die britischen Interessen. In einem Ausmaß, das den meisten Menschen nicht bewusst ist, war diese Frage während des letzten Vierteljahrhunderts eine Wurzel des europäischen Konflikts.« Dass dies fast 90 Jahre später immer noch stimmt und Europa bzw. die Welt wieder am Rand einer politischen, humanitären (Stichwort Hungersnot) und atomaren Katastrophe steht, ist Anlass genug, sich gründlich mit der »Frage der Ukraine« zu beschäftigen.
Die Ringvorlesung wird in diesem Wintersemester wissenschaftlich koordiniert von Monika Wingender, Professorin für Slavische Sprachwissenschaft an der JLU und Direktorin des Gießener Zentrums Östliches Europa, und gefördert durch die Gießener Hochschulgesellschaft. Die Reihe richtet sich gleichermaßen an ein universitäres Publikum und an die Öffentlichkeit in Stadt und Region.