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Profi der Polizei weiß: Auch Fälscher machen Fehler

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Von: Kays Al-Khanak

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Die Profis der Urkundenprüfstelle finden die Fehler, wenn der Pass oder der Führerschein gefälscht sind.
Die Profis der Urkundenprüfstelle finden die Fehler, wenn der Pass oder der Führerschein gefälscht sind. © Frank Sorge/imago

Falsche Pässe, Urkunden und Führerscheine sind das Spezialgebiet von Thomas Stroh. Er ist der Leiter der Urkundenprüfstelle im Polizeipräsidium Mittelhessen.

Gießen - Seit 43 Jahren ist Thomas Stroh bei der Polizei. Er hat als Ermittlungsgruppenleiter für Betrugsdelikte gearbeitet und 2010 die Leitung der Urkundenprüfstelle im Polizeipräsidium Mittelhessen übernommen. Man müsste meinen, dass ein erfahrener Mann wie der 58 Jahre alte Kriminalhauptkommissar nur müde und wissend lächelt, so ein bisschen wie Meister Yoda bei Star Wars. Und dann mit nur einem Blick erkennen kann, ob ein Dokument gefälscht ist oder nicht. Dem ist nicht so. Wie auch? Es gibt fast 200 Staaten auf der Welt. Alle mit unterschiedlichen Dokumenten, die bei dieser und jener Gelegenheit vorgelegt werden. Ein Ermittler sollte wissen, wann er misstrauisch sein sollte und wie er Fälschungen auf die Spur kommt. Denn es handelt sich nicht um ein Kavaliersdelikt. Stroh sagt: »Die Dokumenten-Kriminalität kann ein Einstieg in andere Deliktfelder sein.«

In Hessen, erzählt Stroh, habe es früher Schulungen zu Urkundenprüfungen gegeben; er habe 1998 an einer teilgenommen. Im Großen und Ganzen sei dem Thema jedoch keine Priorität beigemessen worden. Den Anstoß gab die Fußballweltmeisterschaft 2006 im eigenen Land. In Frankfurt schuf die Landesregierung eine Pilotdienststelle, die Urkunden unter die Lupe nehmen sollte. Es ging um die Pässe der vielen WM-Besucher aus aller Herren Länder, aber auch um gefälschte Tickets für die WM-Spiele.

Die Arbeit der Pilotdienststelle muss überzeugend gewesen sein. Denn die Landesregierung beauftragte das Landeskriminalamt (LKA) zwei Jahre später, ein Konzept zu erarbeiten, wie die Urkundenprüfung Standard in den hessischen Polizeipräsidien werden könnte. 2010 dann der Startschuss für die Experten, die bewusst nicht nur beim LKA, sondern in der Fläche zu finden sind. Dort kümmern sie sich nicht nur um Dokumente im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen, sondern leisten auch kostenlose Amtshilfe für Behörden wie das Regierungspräsidium, für Führerscheinstellen oder Standesämter.

Dass Spezialisten für Urkunden in den Polizeipräsidien gebraucht werden, hat mit der Öffnung des Schengen-Raums zu tun. Weil die Passkontrolle an den Grenzen entfallen ist, können Menschen in Europa frei von A nach B reisen. Eigentlich eine schöne Sache. Es gibt aber aus jedem Land Dokumente, die bei einer Polizeikontrolle in Deutschland den Beamten vorgelegt werden. Doch woher soll ein Streifenpolizist wissen, welche Sicherheitsmerkmale ein französischer Führerschein oder ein griechischer Ausweis haben?

Die Expertinnen und Experten werden gebraucht. Das zeigen die Fallzahlen: Wurden im Polizeipräsidium Mittelhessen, das für die Landkreise Gießen, Lahn-Dill, Wetterau und Marburg-Biedenkopf zuständig ist, 2010 noch 175 Dokumente geprüft, waren es 2020 bereits 2500. Deshalb ist Stroh kein Einzelkämpfer mehr: 2014 und 2019 wurde seine Prüfstelle um jeweils einen Kollegen verstärkt. Dabei soll es nicht bleiben. Eine ihrer Aufgaben sind Schulungen an der Basis und die Ausbildung von Urkundenvorprüfern. Die sitzen in den einzelnen Dienststellen und - wie der Name schon sagt - prüfen Dokumente, bevor sie in Gießen in der Zentrale unter die Lupe genommen werden. Diese Dokumente werden dann nochmal zur Endabnahme ans LKA weitergeleitet.

Die Gründe, warum ein Mensch gefälschte Dokumente nutzt, sind vielfältig. Oft, sagt Stroh, liege ein Haftbefehl gegen die Person vor. Mit einem gefälschten Dokument könne sie sich unerkannt bewegen. Oft gehe es auch um Betrug. Der Ermittler erinnert sich an einen Mann, der einen gefälschten jemenitischen Führerschein besaß, um dann mit nur noch wenigen Fahrstunden und der bestandenen Prüfung den deutschen Führerschein zu erhalten. Er hätte so viel Geld gespart. Und manchmal geht es darum, nicht aufzufallen. So wie ein Mann, der ein Kennzeichen fälschte, um unerkannt ein Bordell besuchen zu können. Er hatte auf einem alten Kennzeichen mit bunten Filzstiften eine Fantasie-Plakette aufgemalt.

Nicht immer sind die Fälschungen so leicht zu erkennen. So wie der grüne, türkische Pass, den Stroh in der Hand hält. Insgesamt vier dieser Dokumente waren im Postermittlungszentrum in Marburg aufgefallen. Der Pass wird in der Türkei nur an bevorrechtigte Personen wie beispielsweise Hochschullehrer, ranghohe Polizisten, Militärs oder Ärzte ausgegeben. Ihre Besitzer dürfen sich ohne Visum 90 Tage lang in Deutschland aufhalten.

Auf den ersten Blick findet Stroh keine offensichtlichen Fehler, die auf eine Fälschung hinweisen. Um die Dokumente genau zu betrachten, hat er aber Hilfsmittel zur Hand: Zwei Mehrfachlichtprüfgeräte, die mit Infrarot- und UV-Licht die nicht mit dem bloßen Auge sichtbaren Sicherheitsmerkmale erkennbar machen. Außerdem stehen ihm und seinen Kollegen ein Ausweislesegerät sowie ein Mikroskop zu Verfügung. Alles sündhaft teure Geräte, die zum Teil bis zu 30 000 Euro kosten.

Was zuerst auffällt: Der Chip im Pass ist nicht lesbar. Darauf sind - je nach Land - zum Beispiel Bild und Fingerabdrücke gespeichert. »Das ist aber kein Hinderungsgrund für eine Einreise«, betont Stroh - also auch kein Merkmal, um diesen Pass als Fälschung zu erkennen. Der Kommissar muss nun ins Detail gehen. Digitalisierung sei Dank kann Stroh über einen Informationsdienst für Dokumente Vergleichspässe heranziehen. Während er das Original auf einem Bildschirm öffnet, nimmt er mit Hilfe des UV-Lichts nun den in Marburg sichergestellten Pass unter die Lupe und vergleicht beide. Wie im Original ist der Halbmond mit Stern und die Seitenzahl sichtbar; nur am Stern fehlt kaum sichtbar eine Ecke. »Das könnte ein erster Hinweis für eine Fälschung sein«, sagt er. Dann untersucht Stroh die Innenseiten - und da besonders den Faden in der Mitte. Hier gibt es einen deutlichen Unterschied: Während der Faden im Originalpass farblos ist, schimmert er bei der Fälschung rosa. Außerdem entdeckt Stroh Melierfäden im Papier, die sich im Original wahllos auf den Seiten verteilen - aber im Fälschungsdruck auf jeder zweiten Seite an derselben Stelle auftauchen.

Stroh nickt anerkennend, bevor er sagt: »Draußen auf der Straße bei einer Kontrolle wird dieser Pass niemals als Fälschung erkannt.« Dementsprechend teuer waren die vier Pässe: Der Kriminalhauptkommissar schätzt, dass sie zwischen 15 000 und 20 000 Euro gekostet haben.

Wenn Stroh über seine Arbeit redet, merkt man, dass sie ihm Spaß macht. In seinem Büro hat er die »besten« und skurrilsten Fälschungen an eine Wand gehängt. Langweilig, betont er, sei sein Job nicht. »Der Reiz ist, dass jeder von uns Dokumente bei sich trägt. Und Fälscher versuchen, selbst in kleinen Details diese Dokumente täuschend echt aussehen zu lassen.« Gerade Pässe, sagt Stroh, seien die Eintrittskarte in alle Länder der Welt - und dementsprechend die Dokumente mit den höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Diese wollen Fälscher überwinden. Und Ermittler wie Stroh versuchen, den Fälschern einen Strich durch die Rechnung zu machen.

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