1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Appell: »Sexkauf« verbieten

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Karen Werner

Kommentare

null
© dpa/Archiv

1,2 Millionen Prostituierten-Besuche täglich: Was heißt das konkret? Und warum hat die Legalisierung des »Berufs« die Lage vieler Frauen verschlechtert? Antworten gab es nun in Gießen.

Beklommenes Schweigen herrscht im Alten Schloss, während eine kultivierte ältere Dame eine Liste mit Abkürzungen verliest. »A.o. – alles ohne Gummi. N.p. – Natursekt passiv«, das sind die harmloseren Praktiken. »Ich habe das zu Hause geübt, damit meine Stimme nicht zu sehr zittert«, bekennt Inge Hauschild-Schön.

In der Debatte um Prostitution werde zu wenig darüber gesprochen, was Tag für Tag »konkret geschieht«, findet die Mitgründerin der Bürgerinitiative gegen Bordell Marburg. Sie war eine von drei Referentinnen am Freitagabend bei der Informationsveranstaltung »Die käufliche Frau – ein zeitgemäßes Frauenbild?« Rund 40 Gäste, darunter eine Handvoll Männer, waren der Einladung des jungen Gießener Vereins »Alarm! Gegen Sexkauf und Menschenhandel« in den Netanyasaal gefolgt.

Ziel: Das »nordische Modell«

Der Verein setzt sich ein für das »nordische Modell« in der Gesetzgebung. Strafbar machen sich demnach sämtliche Freier, für Prostituierte gibt es Angebote zum Ausstieg. In Schweden und anderswo sei es auf dieser Grundlage gelungen, das Ausmaß der Prostitution einzudämmen und die gesellschaftliche Einstellung zu ändern, hieß es. In Deutschland sei die Gesetzeslage seit 2002 allzu liberal. Das »Bordell Europas« sei ein lohnender Markt für Menschenhändler. Laut Schätzungen gingen hier täglich 1,2 Millionen Männer zu Prostitutierten.

»Ins Schwarze getroffen«

Die rege Internet-Debatte zum GAZ-Artikel über die Gruppe habe »gezeigt, dass wir ins Schwarze getroffen haben«, sagte »Alarm!«-Gründungsfrau Sonja Hartmann. Ihr Kernthese: Prostitution sei systematische Gewalt gegen Frauen, die sich indirekt auf die ganze Gesellschaft auswirke.

Inge Hauschild-Schön, die über die – vergeblichen – Proteste gegen ein Großbordell in Marburg zur Expertin wurde, erklärte, Frauen würden »benutzt von unseren Ehemännern, Nachbarn, Kollegen, Cousins«. Die Marburgerin widersprach dem Klischee, das »älteste Gewerbe der Welt« sei quasi naturgegeben. Historisch gesehen seien Prostitution und Vergewaltigung Teil von Krieg und Sklaverei.

Solche Mythen würden aufrecht erhalten von Menschen, die von dieser gewinnträchtigen Branche profitierten. »Und das sind nicht die Prostitutierten.« 95 Prozent von ihnen – auch prominente Vorzeige-"Freiwillige" wie die Hamburgerin Domenica – alterten in Armut, unterstrich Hauschild-Schön.

»Männer brauchen ein Ventil«, ohne Prostitution würden sie Frauen auf der Straße anfallen: Auch das sei ein Mythos, sagte Huschke Mau, die zehn Jahre lang Prostituierte war und nach ihrem Ausstieg das Netzwerk »Ella« gründete.

Freier werden »brutaler«

Falsch sei außerdem die Behauptung, dies sei ein »Beruf wie jeder andere«, den Frauen heute »freiwillig« ausübten. Sie selbst sei zwar als deutschstämmige junge Frau nicht Opfer von Menschenhändlern geworden. Doch eine wirtschaftliche Notlage und Kontakt zu einem potenziellen Zuhälter – »bei mir war es ein Polizist« – seien die Vorbedingungen für den Einstieg. Fast alle Frauen hätten Gewalt-Vorerfahrung aus der Kindheit. Sie seien gewöhnt an die »Abspaltung« vom eigenen Körper. »Ich konnte nicht mehr spüren, ob ich Hunger habe oder friere.« Nur so könnten sie die Arbeit als Prostitutierte ertragen, denn die sei stets »Missbrauch«, betonte Huschke Mau.

Die Legalisierung durch die rot-grüne Bundesregierung habe fatale Folgen: Freier benähmen sich enthemmter und brutaler. Prostituierte würden nach wie vor stigmatisiert – aus gutem Grund trete sie unter Pseudonym auf – und häufig auch bestraft, etwa weil sie sich bei Hausbesuchen in einem Sperrbezirk aufhalten. »Das nordische Modell hätte mir und allen Prostituierten geholfen, die ich kenne«, sagt Mau. »Sexarbeit«-Lobbyisten, die die Tätigkeit verharmlosten, betrieben meistens selbst Bordelle.

Mächtige Lobby wirkt bis in die Politik

Die Bloggerin Manu Schon berichtete von frauenfeindlichen Einstellungen bei Freiern und von Auswirkungen der leicht zugänglichen Pornografie auf Jugendliche. Bundesweit wachse die Bewegung, die sich für das Nordische Modell einsetzt.

Druck aus der Bevölkerung sei nötig, hieß es unisono: Im Hintergrund wirke eine mächtige Zuhälter-Lobby, und etliche Politiker wären selbst betroffen, wenn »Freier« mit Bestrafung rechnen müssten. Hauschild-Schön berichtete, dass sie ihren Vortrag auch deshalb Wort für Wort abliest, weil sie schon zweimal mit falschen Behauptungen angezeigt worden sei.

Der Gießener Verein freut sich über weitere Aktive. Kontakt kann man aufnehmen über die Facebookseite »Alarm gegen Sexkauf«.

Auch interessant

Kommentare