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Amtshilfe oder Petze?

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Von: Burkhard Möller

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Schon seit einigen Jahren gibt es im Internet Apps, mit deren Hilfe Parksünder an die Ordnungsämter gemeldet werden können. Auch in Gießen schwärzen einige Verkehrsteilnehmer Falschparker regelmäßig an. Die Ordnungspolizei verfolgt die derart gemeldeten Verstöße - unter gewissen Bedingungen.

Eine oft geäußerte Klage in der erste Phase der Corona-Pandemie war, dass die mit der Überwachung von Infektionsschutzmaßnahmen stark beanspruchte Ordnungspolizei andere Aufgaben wie die Überwachung des Verkehrs vernachlässige. So gesehen, könnten Internetseiten wie Wegeheld oder weg.li die Arbeit der Ordnungsämter erleichtern. Mithilfe der Apps können Menschen, die sich über zugeparkte Radwege oder Bürgersteige ärgern, seit einigen Jahren in die Rolle des »Hipo« schlüpfen und den Ordnungsämtern Parkverstöße einfach und beweiskräftig melden.

Dass das in Gießen auch praktiziert wird, ist vor einigen Wochen bei der Online-Befragung der Stadt zur Sicherheit im Radverkehr aufgefallen. Fast 280 Rückmeldungen und zu denen wiederum etliche Kommentierungen hinterließen Nutzer auf der Bürgerbeteiligungsplattform GießenDirekt. Von den über 100 Kommentaren entfielen viele auf einen standardisierten Hinweis. Im Zusammenhang mit zugeparkten Radstreifen verwiesen User auf eine Internetseite (https://www.weg.li/), auf der Handyfotos von Parksündern hochgeladen und dem Ordnungsamt gemeldet werden können.

Wie es in den Kommentaren weiter hieß, seien dem Gießener Ordnungsamt in den letzten zwölf Monaten auf diesem Weg rund 800 Parkverstöße gemeldet worden. Wie der Blick in das bundesweite Portal zeigt, sind dabei einige Verkehrsteilnehmer besonders eifrig: In den Monaten April, Mai und Juni wurden von nur zwölf Nutzern aus Gießen bei weg.li fast 300 Meldungen hinterlassen.

Unumstritten sind Falschparker-Apps wie weg.li oder Wegeheld nicht. Die einen sehen in ihnen angesichts der Masse an Parkverstößen eine Amtshilfe für die Ordnungspolizei, die nicht überall und jederzeit präsent sein kann. Andere kritisieren hingegen die »Blockwart-Mentalität« der Nutzer und sprechen von Denunziantentum. Entsprechend unterschiedlich gehen kommunale Ordnungsämter mit online übermittelten und grundsätzlich legalen Hinweisen auf Parkverstöße um.

In einem Beitrag für das ARD-Mittagsmagazin erklärte zum Beispiel ein Sprecher der Stadt Bonn vor einigen Jahren, dass man die Meldungen kritisch sehe. Das Anschwärzen sei geeignet, »das Klima zwischen den Verkehrsteilnehmern zu vergiften«. Andere Städte dagegen nehmen die Hinweise unter bestimmten Voraussetzungen an und ahnden die dokumentierten Verstöße. So geht auch die Stadt Gießen vor. Das Dezernat des für die Ordnungspolizei zuständigen Bürgermeisters Alexander Wright bestätigte auf GAZ-Anfrage zunächst, dass die Stadt »regelmäßig« Hinweise bzw. Anzeigen über die Adresse weg.li erreichen. »Die Meldungen werden geprüft und immer dann auch verfolgt, wenn die Ordnungspolizei die beschriebenen Verstöße ebenfalls sanktioniert hätte. Die Verfahren werden als Fremdanzeige geführt, sodass der Zeuge, sollte es zum Beispiel zu einer Gerichtsverhandlung kommen, seine Angaben bestätigen muss«, heißt es in der Stellungnahme aus dem Rathaus weiter.

»Arschlochfaktor«

für Automarken

Die Falschparker-Apps haben ihren Anfang vor einigen Jahren in Großstädten wie Berlin und Hamburg genommen. Der Gründer von weg.li kommt nach eigenen Angaben aus Hamburg, bezeichnet sich auf der Homepage als »besorgter Vater« und propagiert die »Verkehrswende zum Selbermachen« durch »freie Bürgersteige und sichere Radwege besonders für Kinder«.

Bei weg.li wird das Thema Falschparken von Stadt zu Stadt datenanalytisch aufgedröselt. Interaktive Gießen-Karten mit »Clustern« und »Headmaps« zeigen, dass die meisten Meldungen die Innenstadt und das östliche Stadtgebiet betreffen. Tabellen geben einen Überblick, welche Verstöße am häufigsten gemeldet wurden; im vergangenen Quartal lag in Gießen das verbotswidrige Parken auf dem Gehweg mit fast 140 Meldungen weit vorne.

Die Meldungen werden in einer weiteren Tabelle sogar nach den Automarken aufgeschlüsselt. Aufgeführt werden die Anteile der Marken an den gemeldeten Verstößen und am Pkw-Markt. Ein Detail indes lässt Zweifel aufkommen, dass der/die Macher der App ein Interesse an einem gedeihlichen Miteinander im Straßenverkehr haben. So werden die Automarken mit einem sogenannten »Arschlochfaktor« versehen. Im Fall von Gießen ist er bei BMW und Audi am höchsten, gefolgt von Mercedes. Die meisten Verstöße im vergangenen Quartal indes gingen auf das Konto von VW-Fahrern, deren »A-Faktor« aktuell am niedrigsten ist.

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moeller-B_124556_4c_1 © Burkhard Moeller

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