1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Gießen: Untreue-Verfahren gegen prominenten Buchhändler eingestellt

Erstellt:

Von: Kays Al-Khanak

Kommentare

Die Universitätsbuchhandlung Holderer im Jahr 2008.
Die Universitätsbuchhandlung Holderer im Jahr 2008. © Red

Ende eines denkwürdigen Prozesses am Amtsgericht Gießen: Das Verfahren gegen einen bekannten Buchhändler, dem Untreue vorgeworfen wurde, ist eingestellt worden.

Gießen – Dieter Schormann war viele Jahrzehnte sehr erfolgreich - und hatte am Ende doch vieles verloren: Sein gesellschaftliches Renommee in seiner Stadt, sein Vermögen, seine Buchhandlungen, sein Haus, seine Privatbibliothek - und sein Sofa, das bereits in seiner Ferberschen Buchhandlung und später in der Unibuchhandlung Holderer stand. Auf dem saßen schon Literaturgrößen wie Günter Grass. Das Sofa sei nach dem Bruch mit seinem ehemaligen Mitgesellschafter bei Holderer ohne sein Wissen zertrümmert worden, sagt Schormann.

Aber am Donnerstag (19. Mai) hat der 76 Jahre alte Buchhändler vor dem Amtsgericht Gießen etwas wieder zurückgewonnen: seinen Ruf. Das Schöffengericht am Amtsgericht Gießen unter dem Vorsitz von Richterin Sonja Robe stellte das Untreue-Verfahren gegen ihn ein.

Amtsgericht Gießen: Anwalt verweist auf Arbeitsteilung

2018 war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Gießen gegen Schormann wegen Untreue in 50 Fällen ermittelt. Nachdem die Presse darüber berichtet hatte, sei er »ein toter Mann« gewesen, sagt Schormann, gesellschaftlich an den Rand gedrängt, vorverurteilt. Noch nicht einmal mehr zum Vorlesetag in der Grundschule seiner Tochter sei er eingeladen worden.

Er, der mit 30 Jahren bereits Inhaber einer Buchhandlung war. Der vier Mal anlässlich der Verleihung des Friedenspreis' des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche gesprochen hatte - inklusive der Laudatio für die großartige Susan Sontag. Bereits damals hatte er die Vorwürfe bestritten. Wegen einer Erkrankung Schormanns wurde das Verfahren vertagt und erst am Dienstag wieder aufgenommen. Bei dem Tatbestand tritt eine Verjährung nach fünf Jahren ein; so blieben am Ende vier Tatvorwürfe übrig, die sich zwischen 2012 und 2015 zugetragen haben sollen.

Schormann soll laut Anklageschrift 6600 Euro vom Konto der Unibuchhandlung Holderer GbR abgehoben haben, um Schulden aus seinen früheren Geschäften zu begleichen. Außerdem habe er seinen Mitgesellschafter, den Hauptbelastungszeugen, nicht über Zahlungsrückstände informiert. Die Folge: Inkassokosten von rund 10.300 Euro. Zu verantworten habe er auch, dass zwischen 2012 und 2013 der Arbeitnehmeranteil bei den Beiträgen für die Krankenversicherung von Angestellten in Höhe von rund 1200 Euro vorenthalten wurden.

Gießen: Vorwürfe beruhten auf Mutmaßungen

Nur: Am Ende bleibt von den Vorwürfen gegen Schormann so gut wie nichts übrig. Bereits am ersten Prozesstag am Dienstag zeigte sich, dass vieles auf Mutmaßungen beruht - und nicht auf objektiven Beweisen. Schormanns Anwalt Alexander Hauer hatte dort die Arbeitsaufteilung der beiden Mitgesellschafter aufgezeigt, die sich 2008 freundschaftlich verbunden dazu entschlossen hatten, die Buchhandlung Holderer zu übernehmen - und später zerstritten hatten. Während Schormann das Gesicht des Geschäfts und für das Buchhändlerische zuständig gewesen sei, habe sein Mitgesellschafter sich um die Buchhaltung gekümmert.

Dies bestätigen am zweiten Prozesstag am Donnerstag etliche Zeugen. Eine Frau, die viele Jahre mit Schormann zusammengearbeitet hat, sagt über ihren Ex-Chef: »Ich weiß, dass er mit Zahlen nichts am Hut hat. Er ist der Kreative. Für die Zahlen hat er immer gute Leute gehabt.« Zwei weitere Zeuginnen, die bei Holderer gearbeitet haben, sagen über den Mitgesellschafter: »Er hat sehr großen Wert darauf gelegt, dass er sich um die Bankgeschäfte kümmert.«

Nur: Finanziell lief es für Holderer in einem mit großen Veränderungen kämpfenden Buchmarkt schon lange nicht mehr: Zum einen war da der immer dominanter werdende Onlinehandel, zum anderen die unmittelbare Nachbarschaft zu Thalia, einer großen Buchhandelskette.

Gericht in Gießen: Unterlagen oft „lückenhaft“

Zudem äußern ehemalige Mitarbeitende Kritik an der Buchführung der Buchhandlung. Ein Steuerberater, der nach eigenen Angaben zur »Schadensbegrenzung« bei Holderer tätig geworden sei, nannte die Unterlagen »nicht aussagekräftig« und »lückenhaft«. Eine weitere Zeugin, die eingestellt wurde, um die Buchhaltung nachzuarbeiten, sagt: »Da wurde nicht sehr viel gemacht. Die Kassenunterlagen zum Beispiel waren für ein Jahr erfasst, aber nicht verarbeitet.« Richterin Robe fragt den Steuerberater, ab wann er das Gefühl hatte, dass die Buchhandlung vor die Wand gefahren werde. Er antwortet: »Dass es nicht funktioniert, war mir von Anfang an klar. Als ich ins Boot kam, war die Karre schon im Dreck. Da war die Firma schon tot.«

Als alle Zeugen befragt sind, entwickelt sich im Sitzungssaal ein Gespräch zwischen Gericht, Staatsanwalt Matthias Rauch und Anwalt Hauer. Tenor: Von den Vorwürfen ist im Grunde nur noch die rechtliche Frage zu prüfen, ob Schormann für den fehlenden Arbeitnehmeranteil - 1200 Euro - bei den Krankenversicherungsbeiträgen verantwortlich ist oder nicht. Rauch spricht von möglicher »Fahrlässigkeit«; Richterin Robe weist darauf hin, dass der Buchhändler bezüglich dieses Sachverhalts hätte nachfragen müssen - und als Mitgesellschafter mitverantwortlich sein könnte.

Hauer sagt, er sehe trotz allem einen Freispruch für Schormann. Um den Prozess aber schnell zu einem Ende zu bringen, seien er und sein Mandant zu einer Einstellung des Verfahrens wegen geringfügiger Schuld bereit - ebenso wie Gericht und Staatsanwaltschaft. Die mit viel Fingerspitzengefühl agierende Richterin Robe sagt zum Abschluss: »Herr Schormann, es ist vorbei.« Mit Tränen in den Augen kann er nur leise »Danke« erwidern. Und Robe antwortet: »Wir wünschen Ihnen, dass Sie nun zur Ruhe kommen. Alles Gute.« Und sein Anwalt Hauer sagt, als alle den Sitzungssaal verlassen haben: »Er kann nun mit Fug und Recht sagen: Ich bin unschuldig.« (Kays Al-Khanak)

Auch interessant

Kommentare