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Allein, aber nicht immer einsam

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Von: Daniel Beise

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Weltweit sind immer mehr Menschen Single - oder sie leben in alternativen Beziehungsmodellen. SYMBOLBILD: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Häufig liest man davon, oder man merkt es im eigenen Bekanntenkreis - es gibt immer mehr Singles. Trotz vieler neuer Kennenlern-Möglichkeiten wie Dating-Apps. Warum ist das so? Und kann das Alleinsein auch gut sein? Eine Soziologin und eine Psychologin geben Antworten.

Jede oder jeder dritte Deutsche zwischen 18 und 65 Jahren ist Single. Das geht aus einer repräsentativen »ElitePartner«-Studie von 2020 hervor. Das sind 16,8 Millionen Menschen, darunter außerdem ein relativ hoher Anteil Langzeitsingles. Die Studie war eigenen Angaben zufolge eine der größten Partnerschafts-Untersuchungen hierzulande, mehr als 13 000 Akademiker (5352) und Nicht-Akademiker (7657) wurden Ende 2019 befragt. Laut einer zweiten Umfrage bezeichneten sich 2020 rund fünf Millionen Deutsche als überzeugte Singles. Seit 1991 stieg die Zahl der Einpersonenhaushalte laut Statistischem Bundesamt um 46 Prozent.

A uch in Gießen verzeichnete 2016 das Wohnraumversorgungskonzept einen verstärkten Trend zu Einpersonenhaushalten. Die Gleichsetzung mit Singlehaushalt sollte man hier angesichts neuer Beziehungsmodelle vermeiden, wie auch Dr. Michaela Goll, Soziologin an der Justus-Liebig-Universität, deutlich macht. Der Trend aber ist eindeutig: Immer mehr Menschen leben in keiner festen Bindung.

Gestärkt durch das Alleinsein

Warum ist das so? Im Vergleich zum 20. Jahrhundert hängt das zunächst mit neu gewonnenen Freiheiten zusammen. »Viele verschiedene Lebensformen wie Singlesein, nicht-eheliches Zusammenwohnen, liiert sein, aber getrennt wohnen - all das ist heute gesellschaftlich akzeptiert«, erläutert Goll und fährt fort: »Zwei weitere wichtige Unterschiede zu früher sind, dass man sich heute einen Einpersonenhaushalt leisten kann.« Hinzu komme die höhere Lebenserwartung. Die führe dazu, dass wir im Laufe unseres Lebens verschiedene Lebensformen verwirklichen könnten.

Mit dem Stichwort Globalisierung nennt die Soziologin einen weiteren interessanten Faktor, sie erklärt: »Viele arbeiten und wohnen nicht mehr kontinuierlich am selben Ort. Auch das führt zu Partnerlosigkeit - oft als vorübergehendes Phänomen, was aber wiederum zu der hohen Anzahl an Singles bei Umfragen führt.« Interessant werde es dann, wenn man diese Personen in einer Langzeitstudie fünf Jahre später nochmal nach ihrem Beziehungsstatus frage. »Darüber hinaus sei die Bereitschaft gestiegen, sich aus destruktiven oder toxischen Beziehungen zu befreien«, ergänzt Diplom-Psychologin Irina Ackmann.

Ackmann betreibt eine Praxis in Annerod und hat sich unter anderem auf Paartherapie und Trennungsberatung spezialisiert. Dass das verbreitete Singledasein auch psychologisch ein größeres Thema geworden sei, nehme sie in ihrer Praxis nicht wahr. »Eine vertrauensvolle Partnerschaft ist sicher förderlicher für das seelische Gleichgewicht und Wohlbefinden und auch das, was die meisten sich wünschen. Aber ob es überlebenswichtig ist - das weiß ich nicht«, sagt Ackmann. Studien zeigten, dass Männer beispielsweise generell glücklicher seien als Frauen, wenn sie liiert seien. Allerdings könne das Alleinsein auch gut für einen Menschen sein. Wenn man wisse, dass man auch alleine zurecht komme, wenn man in sich ruhe und mit sich im Einklang sei, könne das Stärke und Freiheit geben - was wiederum eine gute Basis für eine Beziehung sei. Wenn der neue Partner oder die neue Partnerin ein Defizit ausgleichen solle, sei die Beziehung eher zum Scheitern verurteilt.

Warum nun bleiben aber so viele unfreiwillig Single? Eine aktuelle Studie der Universität Nikosia in Zypern kam zu dem Schluss, dass es vor allem an mangelnden Flirtfähigkeiten der Sender und Empfänger liege. Stimmt das? »Wenn die Chemie stimmt, muss man sich nicht wie verrückt anflirten, um sich kennenzulernen«, entgegnet Ackmann darauf. Dann entwickle sich eine Basis auf einer anderen, tieferen Ebene.

Trend: Selbstoptimierung

Einen Grund, den neben den beiden Expertinnen auch die Studie von »ElitePartner« anführt, sind zu hohe Ansprüche und wenig Kompromissbereitschaft. Hohe Erwartungen seien ganz klar durch Medien geprägt, wie zum Beispiel durch eine scheinbar perfekte Welt auf Instagram, sagt Soziologin Goll. Aber auch durch Fiktionales aus Filmen, Serien, Fernsehen und Werbung.

Dating-Apps und -Seiten würden die Partnersuche zwar erst einmal erleichtern, erklärt Goll. »Da wir aber darum wissen, dass die Partnervermittlung hier professionalisiert via Algorithmen abläuft, hoffen bzw. denken wir, dass da immer noch was Besseres drin ist.« Das passe auch zu dem heutigen Trend der Selbstoptimierung. Weitere Gründe, die viele für ihr Alleinsein in der »ElitePartner«-Studie nennen, sind Unsicherheiten, Bindungsscheue und Unverbindlichkeit.

Bei alldem ist das Singledasein aber kein Makel, wie auch der populäre Therapeut, Autor und Single-Coach Eric Hegmann stets betont. Man solle nur aufpassen, dass das Alleinsein nicht in eine chronische Einsamkeit umschlage. »Wenn das mal ein Weltschmerz über ein paar Tage ist, kann man sich selbst herausziehen«, sagt Psychologin Ackmann. Indem man rausgeht, unter Leute, Sport treibt - und sich nicht bodenlos in eine Krise heineinfallen lasse. »Wenn das aber nicht funktioniert und man depressiv wird, sollte man sich in jedem Fall Hilfe suchen«, betont sie. Da bleibt zuletzt die Hoffnung, dass die erneuten Einschränkungen der Partnersuche in der Pandemie bald wieder enden.

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