Alle Arten aufs Trefflichste vertreten

Die Große Prunksitzung der Gießener Fassenachts-Vereinigung (GFV) bringt die Narren zum Singen und die Kongresshalle zum Klingen.
Hat man aus der Geschichte nichts gelernt, dass man sich von der Demokratie entfernt? Besser ist das und gesund, wenn unsere Stadt offen ist und bunt!« Der »oberste Beamte der Stadt«, Peter Meilinger, verkündete als »Türmer« in seiner Büttenrede klar, was Gießen für seine Zukunft und weitere Jahre Frieden tun muss, und er betonte gleichzeitig: »Lasst uns singen und feiern, jetzt erst Recht!«.
Das ließen sich die Narren bei der Prunksitzung der Fassenachtsvereinigung am Samstag in der prächtig geschmückten Kongresshalle nicht zweimal sagen und stellten mehrfach in dem bunten fast vierstündigen Programm ihre Begeisterungsfähigkeit zur Schau. Einige der Höhepunkte waren vorher bekannt, andere überraschten selbst die Betroffenen. So musste Prinz Sebastian I. spontan als »weltmeisterlicher Posaunist« zum Instrument greifen, weil das Musik-Corps Großen-Linden, das den Abend eröffnete, ihn für ein neu einstudiertes Stück benötigte. Auch Jörg Langsdorf, bis letztes Jahr noch Präsident der GFV, betrat die Bühne ohne zu wissen, was auf ihn zukommt. Er erhielt für sein Engagement den Verdienstorden in Silber der Interessengemeinschaft Mittelrheinischer Karneval aus den Händen von deren Vizepräsidenten Markus Braun.
Viel Zeit zum Aufwärmen blieb dem Publikum nicht, denn mit der singenden Multi-Instrumentalistin Eva Kumant enterte gleich die erste Stimmungskanone die Bühne mit dem Traumschiff und nahm sich zunächst den darauf sitzenden Elferrat um Sitzungspräsident Günter Helmchen zur Brust. Danach brachte sie den Saal mit »Eine neue Liebe« zum Singen und unterstützte die Narrenschaar auf der Trompete, dem Schifferklavier und einem Kindersaxophon.
Phillipp Nickel bringt Gedicht mit Tiefgang
Dass es auch ganz anders geht, bewies Phillipp Nickel von den Karnevalsfreunden Krofdorf, der nach dem Auftritt der Kadetten als »19 Zwerge« gleich mal das Licht löschen ließ, »damit die Worte besser wirken«. Als »Protokoller« ging er nicht in die Bütt, sondern trug - ganz im Stile des Poetry Slam - ein Gedicht vor, das nicht nur viel Tiefgang hatte, sondern auch komplett auswendig aufgesagt wurde. Kein kritisches Thema wurde ausgespart, von der Klimakrise über die USA, Österreich und Italien mit ihren rechtspopulistischen Strömungen, und auch Deutschland, Belgien und der Iran wurden von ihm aufs Korn genommen. Das Publikum nahm den Impuls zum Nachdenken auf und spendete langen Applaus.
Nach der KFV-Midi-Garde mit einem Allstar-Medley war es dann an Peter Meilinger, die städtischen Entwicklungen aufs Korn zu nehmen. (»Kau-fen im Netz ist jetzt das Motto, kein Wunder, dass wir in Gießen bekommen den Versand von Otto!«). Den tänzerischen Höhepunkt boten fraglos die 22 als glitzerndes Gemüse verkleideten Frauen des Carnevalvereins Guntersblum, die als Showtanzformation »Magic Moves« die Bühne zum Beben brachten, Pyramiden bauten und »frisch und gesund« durch die Luft wirbelten. Da hielt es keinen auf seinem Sitz, und die Forderung nach einer Zugabe wurde gern erfüllt.
Was alles passieren kann, wenn man mit seiner Frau auf Ischia beim Italiener essen geht, das berichtete Büttenredner Petie Müllejans, dessen bessere Hälfte nun eine Multifunktions-Küchenmaschine besitzt (»Ein elektrisches Gerät mit Vibrationsfunktion, das macht heiß und ist auf Stufe drei in zwei Minuten fertig!«). Der Saal lachte Tränen, während Müllejans verriet, dass seine Frau beim Bügeln fern-schaut: »Den Hemden sieht man deutlich an, ob sie Tatort oder Rosamunde Pilcher gesehen hat!«
Der Abend wurde durch ein alpenländisches Acappella-Medley der GFV-Voiceseccos abgerundet, die am Ende noch durch das Prinzenpaar und seinen Hofstaat verstärkt wurden. Einen besonderen Akzent konnte die neue GFV-Gruppe »InTakt« setzen, die mit ihrem maritimen Showtanz das Motto »Traumschiff« perfekt aufgriff. Gleich mehrere Auftritte hatte Luna-Marie Hofmann, die als Tanzmariechen, mit der Ari und der Tanzgarde auftrat und mit den Gruppen dafür sorgte, dass alle Arten und Disziplinen des Karnevals aufs Trefflichste vertreten waren.