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Aktivistinnen demonstrieren in der Innenstadt

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Von: Christian Schneebeck

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© Christian Schneebeck

Ob mit Megafon und Sprechchören oder stumm und auf Plakaten: Hunderte Frauen sowie einige Männer haben am Samstag in Gießen anlässlich des Weltfrauentages demonstriert.

Der stumme Protest reicht vom Kreuzplatz bis zur Plockstraße. Mensch reiht sich an Mensch. Schild reiht sich an Schild. Leiser kann man kaum demonstrieren - aber eindringlicher wohl auch nicht. Einen Tag vor dem Weltfrauentag machen am Samstagmittag die »Omas gegen rechts« in der Gießener Innenstadt mobil. Und zwar, indem sie die Passanten zum Stehenbleiben auffordern. Viele nehmen das Angebot an, folglich wächst die Menschenkette rasch. Jede und jeder hält ein Plakat in der Hand, darauf ein Datum sowie nur wenige Zeilen. Eine Aufschrift klingt grausamer als die andere: »28. März 2019. Frau, 31, in Bremen von Ehemann erstochen«; »1. Februar 2020. Frau, 93, in Gummersbach von Ehemann erschossen«. Es sind 177 Fälle aus diesem und dem vergangenen Jahr, in denen Frauen von ihrem Partner ermordet wurden.

Straftatbestand gefordert

»Wir wollen das Thema ins Bewusstsein aller holen«, erklärt Dr. Dorothea von Ritter-Röhr die Aktion. Das Thema, das sind Gewalttaten gegen Frauen allgemein und im Speziellen »Femizide«, also »Morde an Frauen, weil sie Frauen sind«. Jeden dritten Tag werde hierzulande eine Frau ermordet, sagt Ritter-Röhr zuvor bei einer Kundgebung. 39 »Femizide« seien es bisher - allein in 2020. »Es reicht!«, prangt auf Flyern, die die Aktivistinnen verteilen. Darunter stehen Forderungen der Petition »#saveXX«, zum Beispiel, der Gesetzgeber müsse einen Straftatbestand »machistische Gewalt« einführen.

Die dröhnende Stille der »Omas« hallt noch nach, als wenig später am Kirchenplatz die zweite Demo des Tages beginnt. Hier formiert sich das linke »8.-März-Bündnis-Gießen«, zu dem etwa die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen, die Deutsche Kommunistische Partei und der Kurdische Frauenrat gehören, für einen lautstarken Protest. Fast 400 Teilnehmerinnen und auch einige Teilnehmer ziehen erst in Richtung Südanlage, dann vom E-Klo aus durch den Seltersweg zurück zum Startpunkt. Die Aufmerksamkeit der Passanten ist ihnen sicher, auch wegen jeder Menge bunter Transparente und einem Potpourri von Sprechchören à la »8. März heißt Widerstand - Frauen kämpfen Hand in Hand!« und »Alerta, Alerta - Antisexista!«.

In kurzen Kundgebungen identifizieren die Rednerinnen unterwegs ganz unterschiedliche Gegner. Jenny Meurer (Antifaschistische Revolutionäre Aktion) brandmarkt vor allem einen »weltweiten Rechtsruck« sowie rassistische und neonazistische Tendenzen in Deutschland. Feminismus kämpfe stets gleichermaßen »gegen patriarchale und kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse«, sagt sie. Martina Lennartz (DKP) schlägt ebenso die Brücke zwischen ökonomischer und politischer Sphäre. Je abhängiger eine Frau finanziell von ihrem Partner sei, desto stärker sei sie ihm im Zweifel ausgeliefert, heißt hier der Gedanke. Der »Frauenkampftag« mobilisiere deshalb nicht zuletzt gegen ungleiche Löhne und Altersarmut.

Politische, rechtliche und wirtschaftliche Freiheit zusammen könne einzig der Sozialismus garantieren, meint Lennartz: »Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau, ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus.« Dabei sei »das Zeitalter der Frauen« längst angebrochen, ergänzt während des letzten Stopps Mizgin Marankoz vom Kurdischen Frauenrat. Zwar werde heute noch global »ein Krieg gegen Frauen geführt«, und in Ländern wie der Türkei erlebten sie tägliche Diskriminierung. Schlussendlich siegten Akvistinnen jedoch überall im »Kampf gegen den dominanten männlichen Faschismus«.

Löwengasse wird »Ria-Deeg-Straße«

Das haltbarste Zeichen ihres Protests hinterlassen die Demonstrantinnen ungefähr auf halber Strecke. Mit einem selbst gebastelten Aufdruck machen sie die Löwengasse symbolisch zur »Ria-Deeg-Straße« - und ehren so die Widerstandskämpferin aus der NS-Zeit.

Zurück am Kirchenplatz endet der Aktionstag wieder vollkommen still: mit einer Gedenkminute für alle, die weltweit im Kampf für Frauenrechte getötet wurden.

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