66 Millionen Euro für neue Sporthalle der 46ers

Noch in diesem Jahr soll eine Entscheidung fallen, ob in Gießen eine Multifunktionsarena gebaut oder ob die Sporthalle Ost ertüchtigt werden soll. Beides wären Mammutprojekte mit einem Kostenaufwand von weit über 50 Millionen Euro. Im Fall der multifunktional zu nutzenden Ballsporthalle sind zudem Standort- und Betreiberfragen offen.
Im Stadtparlament gibt es immer mal wieder Kritik an mangelnden Informationen durch den Magistrat. Am Mittwochabend bestand für derlei Klagen kein Anlass: Vielmehr wurden die Mitglieder des Sportausschusses und die Zuhörer mit Informationen regelrecht erschlagen. Eine Stunde lang hagelte es bei der Präsentation von zwei Machbarkeitsstudien zum Neubau einer multifunktional nutzbaren Ballsporthalle und zum Umbau der Sporthalle Gießen-Ost in eine reine Basketballarena Zahlen. Zwei dürften den Stadtpolitikern und Gießen 46ers-Geschäftsführer Jonathan Kollmar, der die Präsentationen auf der Zuschauertribüne des Stadtverordnetensaals verfolgte, schwer im Magen liegen. Mit 53 Millionen Euro für die »neue« Osthalle und bis zu 66 Millionen Euro für die Multifunktionsarena stehen die Beteiligten vor einem gewaltigen Finanzierungsproblem. Mögliche Fördergelder sind in diesen Schätzungen nicht enthalten.
Während sich die Standort- und Betreiberfrage bei der Ertüchtigung der Osthalle nicht stellt, sind diese Fragen im Fall der Multifunktionsarena offen. Oberbürgermeister und Sportdezernent Frank-Tilo Becher (SPD) will diese offenen Fragen in den nächsten Monaten in Gesprächen mit dem Basketball-Zweitligisten, mit regionalen Bauinvestoren und der Messe Gießen GmbH einer Klärung näherbringen. Einig ist sich Becher mit der Opposition, dass mit der Grundsatzentscheidung »nicht mehr ewig« gewartet werden kann, wie es CDU-Chef Frederick Bouffier formulierte. Becher sagte zu: »Wir werden es noch in diesem Jahr an einen Punkt bringen, es politisch zu entscheiden.« Dabei steht für Becher - ungeachtet von der Frage der Baukosten - fest, dass eine Multifunktionsarena nur Sinn macht, wenn es einen privatwirtschaftlichen Betreiber gibt. »Das Projekt steht oder fällt mit der Betreiberfrage«, sagte Becher auf Nachfrage von Christine Wagener (CDU).
Messe Gießen ist abgesprungen
Als der Ausschuss gegen 18 Uhr zusammentrat, war auf der Leinwand bereits eine Projektion einer »Multifunktionsarena Gießen« zu sehen, die, wie unschwer zu erkennen war, auf dem Gelände an den Hessenhallen steht. Diese Standort- und Betreiberoption gibt es aber im Moment nicht. Die Messe Gießen GmbH hat eine vor Jahren mit den Gießen 46ers vereinbarte Absichtserklärung (»Letter of Intent«) gekündigt. Diesbezüglich will der OB bei der Geschäftsführung der Messe nochmal nachhaken, was die Gründe für den Rückzug von einem Arenaprojekt sind.
Die von der S.E.M. Sport und Eventmarketing GmbH aus Schöneck bei Hanau erstellte Machbarkeitsstudie wurde anschließend vom Gießener Vermessungsamtsleiter Horst-Friedhelm Skib präsentiert, der mit der Materie vertraut ist. S.E.M.-Geschäftsführer Klaus Grundmann hatte kurzfristig absagen müssen. Das seit 2021 zweimal aktualisierte Gutachten sieht den Bau einer Halle für knapp 5000 Zuschauer vor, die auch für andere Sportveranstaltungen als Basketball- und Showevents genutzt werden könnte. Bei den an die aktuelle Preisentwicklung angepassten Baukosten geht die Studie von zwei Varianten aus: Einer ohne Trainingshalle mit bis zu 58 Millionen Euro und einer mit Nebenhalle von bis zu gut 66 Millionen Euro. Bei diesen Kosten fehlt noch der Aufwand für einen möglichen Grunderwerb und den Bau von etwa 1000 Parkplätzen, falls kein Standort gefunden wird, wo Parkflächen - wie die der Universität an der Osthalle - bereits vorhanden sind. Erfahrungen zeigen laut Skib, dass gut 50 Prozent der Besucher von derartigen Hallen mit dem Pkw anreisen.
Die Besucherprognose für das erste Betriebsjahrzehnt geht von anfangs gut 90 000 bis über 130 000 im zehnten Jahr aus. »Branchenüblich« für Ballsporthallen geht man von einem defizitären Betrieb in der Größenordnung von einer halben Million Euro aus. Von Entscheidung bis Fertigstellung muss mit einem Realisierungszeitraum von bis zu drei Jahren gerechnet werden. Grundlage aller Überlegungen zum Bau einer Multifunktionsarena ist eine Zugehörigkeit der Gießen 46ers zur Basketball-Bundesliga.
Osthalle »statisch ausgereizt«
Nicht minder komplex stellt sich die Alternative zu einem Hallenneubau dar. Auch die Studie zur Ertüchtigung und zum Ausbau der Osthalle, die von Andreas Schmidt vom mit dem Sporthallenbau vertrauten heimischen Architekturbüro blfp präsentiert wurde, geht von mittlerweile hohen Bruttobaukosten in Höhe von fast 53 Millionen Euro aus. Als die 46ers im Herbst 2021 dieses Konzept selbst präsentierten, war noch von 25 Millionen die Rede. In der aktualisierten Fassung kosten die neue Drei-Felder-Schulsporthalle für die Gesamtschule Ost, deren Leiter Frank Reuber anwesend war, fast 18 Millionen netto und der Umbau der Osthalle zur reinen Ballspielarena mit ebenfalls knapp 50 00 Zuschauern knapp 27 Millionen Euro netto.
Technisch sprach Schmidt von einer »ganz, ganz groben Studie«, die unter anderem eine Aufstockung der Tribünen vorsieht,wofür das Dach angehoben werden müsste. Da die vor 15 Jahren auf eine Zuschauerkapazität von 4000 ausgebaute Halle »statisch ausgereizt« sei, müsse um sie herum ein Kokon mit Stahlträgern errichtet werden. Zeithorizont hier: Knapp fünf Jahre für das Gesamtpaket. Zuerst würde der Neubau der Schulsporthalle erfolgen.
Nun also steht die Stadtpolitik laut OB Becher vor der Frage, wie einer »Sportmarke mit Strahlkraft über den Sport hinaus« eine Perspektive gegeben werden kann, ohne dass sich die Beteiligten auf einen »finanziellen Ritt ins totale Risiko« begeben.