Gießen: Wegen Zahnschmerzen Feuer in Flüchtlingsheim gelegt?

Feueralarm in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen? Lange Zeit ein großes Thema. Ein Fall war nun Thema vor Gericht.
Gießen (kw). Hat Abderrhmen A. wegen Zahnweh mit Absicht Feuer in seiner Flüchtlingsunterkunft gelegt? Oder geriet ein Müllsack eher zufällig in Brand, weil der Algerier vor Schmerzen nicht mehr Herr seiner Sinne war? Das wurde nicht völlig geklärt am Donnerstag vor dem Amtsgericht. Schließlich durfte der 26-Jährige nach fast vier Monaten Untersuchungshaft das Gefängnis verlassen. Wie lange der nun vorbestrafte Asylbewerber noch in Deutschland bleiben darf, war vor Gericht kein Thema.
Anfang April dieses Jahres kam der Mann, der in seiner Heimat als Installateur gearbeitet hatte, nach Deutschland - um »hier in Frieden zu leben und eine Zukunft zu haben«, erklärte er über einen Dolmetscher. Drei Wochen später war er in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in der Rödgener Straße untergebracht, als er heftige Zahnschmerzen bekam. Er sei vertröstet worden und habe Tabletten bekommen, die nicht halfen, schilderte er.
Die Anklage basierte auf den Aussagen des damals 25-Jährigen vor der Haftrichterin. Demnach löste er in der Nacht auf den 27. April gegen 4.10 Uhr zunächst Feueralarm aus, indem er ein Feuerzeug an den Rauchmelder des Vierbettzimmers hielt. Der Sicherheitsdienst stellte schnell fest, dass es nicht brannte. Gegen 8.30 Uhr an jenem Samstagmorgen fragte der junge Mann dann an der Rezeption vergeblich nach einem Arzt: Es sei niemand da, der die - tags zuvor in Aussicht gestellte - Überweisung schreiben könnte, hieß es.
Von vier Zeugen erscheint einer
Gegen 10.30 Uhr habe er ein Bettlaken und einen gefüllten Müllsack angezündet und auf den Flur gestellt, ohne sich weiter darum zu kümmern, so die Anklage - in der Hoffnung, dass ein Rettungswagen kommt. Drei Security-Mitarbeiter entdeckten das Feuer umgehend und löschten es. Abderrhmen A. kam - nach der Behandlung einer eiternden Zahnwurzel - hinter Gitter. Die Vorwürfe: Schwere Brandstiftung und Körperverletzung, denn einer der Sicherheitsleute erlitt eine leichte Rauchgasvergiftung.
Vor Gericht wollte der 26-Jährige diesen Hergang nicht bestätigen. Er erklärte nun, einer seiner Mitbewohner habe den ersten Feueralarm versehentlich beim Rauchen ausgelöst. Er selbst habe erst gegen 9 Uhr eine Zigarette angezündet, um den Schmerz zu betäuben, und die Kippe achtlos weggeworfen. So sei der Müll in Brand geraten. »Ich habe nicht gewusst, was ich tue.«
Von vier geladenen Zeugen war nur einer erschienen. Der Security-Mitarbeiter sah, wie etwas Brennendes auf den Flur geworfen wurde. Mit einem Feuerlöscher erstickten er und ein Kollege die Flammen. Der Algerier hatte die Zimmertür abgeschlossen. Der Schichtleiter öffnete sie.
Inzwischen deutlich seltener Feueralarm
Schon das Abschließen zeige, dass sein Mandant - erschöpft durch Schmerz und Schlafmangel - nicht vorsätzlich das Gebäude habe anstecken wollen, meinte Verteidiger Philipp Kleiner. Die Untersuchungshaft habe als »Denkzettel« ausgereicht. Sein Plädoyer: Fünf Monate auf Bewährung. Staatsanwältin Trier stimmte zu, man könne einen minderschweren Fall erkennen. Der Angeklagte habe allerdings vor Gericht kaum glaubhafte Reue gezeigt. Um ihm klarzumachen, »dass es so nicht geht«, seien acht Monate Haft ohne Bewährung angemessen. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Jürgen Seichter entschied auf sieben Monate mit Bewährung für die »Verzweiflungstat« ohne bewussten Vorsatz. Der Angeklagte sprach von einer Notlage und bat um Verzeihung.
Im Rekord-Flüchtlingsjahr 2015 gab es täglich mehrmals Feuer-Fehlalarm in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung. Ein gutes Jahr lang wurde eine mobile Wache eines Privatunternehmens auf dem Gelände eingerichtet. Seitdem sei die Lage »kontinuierlich ruhiger geworden«, teilt die Stadt auf GAZ-Anfrage mit. Nach über 650 Einsätzen im Jahr 2015 sank die Zahl auf 51 (2016), 33 (2017) und 30 (2018). Dieses Jahr gab es bisher acht Alarmierungen, davon sechs Fehlalarme, die nicht alle mutwillig erzeugt wurden. Zum Vergleich: Im gesamten Stadtgebiet gab es zwischen Januar und Juli insgesamt bereits 190 Fehlalarme von Brandmeldeanlagen.